Michael Scharnagl: „Eine unglaublich tolle Atmosphäre“
Para-Skifahrer Michael Scharnagl liebt den Wintersport, besonders weil dieser für ihn nicht mehr selbstverständlich ist. Der 32-Jährige leidet seit der dritten Volksschulkasse an einer degenerativen Augenkrankheit, die sein Sehvermögen immer mehr beeinträchtigt. Er ist beinahe blind. Trotz der erschwerten Rahmenbedingungen will und kann der Tiroler nicht auf Sport zu verzichten.
„Ich bin früher ganz normal Skigefahren und habe an einigen Bezirkscups teilgenommen. Mein Papa hat jedes Wochenende in der Nacht Thomas (Anm.: Bacher) und meine Skier präpariert. Mit meiner Krankheit habe ich den Draht zum Skisport ein wenig verloren, wusste nicht, dass es Skisport für Menschen mit einer Sehbeinträchtigung gibt. Ich habe diesen Sport immer geliebt und bin froh, dass ich nun wieder zu meinen Ursprüngen und meiner Leidenschaft zurückkehren konnte“, erzählt Scharnagl, der im Dezember 2021 mit einem Sieg im Super-G mehr als erfolgreich in die Paralympics-Saison gestartet ist. Danach warf den Tiroler eine Verletzung zurück.
Keine optimale Vorbereitung
„Natürlich nicht optimal, aber es hilft nicht. Die Schiene ist wieder herunten und ich habe wieder mit dem Skifahren begonnen. Am Anfang war es schön gemütlich, um wieder in das Fahrgefühl zu bekommen. Ich wollte langsam austesten, ob das Knie hält – erst dann wird das Element Rennfahren wieder integriert“, berichtet der 32-Jährige, der vor seiner Paralympics-Premiere steht.
„Es ist einfach gewaltig, dass ich die Chance habe, Österreich bei den Paralympics in Peking zu repräsentieren. Es ist ein unglaubliches Gefühl, wenn man weiß, dass es zu Hause sehr viele Leute gibt, die auf einen stolz sind und mitfiebern. Es war lange nicht greifbar für mich, aber die Vorfreude wird immer größer und das Kribbeln im Bauch immer mehr. Jeder Athlet will mit einer Medaille nach Hause kommen. Es wird sicherlich schwer, aber genau für diese Momente bzw. Möglichkeiten arbeitet man das ganze Jahr hart“, so der Para-Speed-Spezialist, der im Winter auch gerne mit kurzen Hosen den Alltag bestreit und in Peking auf kalte Temperaturen hofft.
Dreamteam für Peking
Mit seinem Guide Florian Erharter arbeitet Scharnagl seit dieser Saison zusammen. Das Duo hat schon perfekt zusammengefunden und harmoniert auf sehr hohem Niveau. „Mit Flo ist das eine super Sache, er ist ein richtig cooler Mensch, sehr führsorglich und schaut immer auf mich. Wir arbeiten sportlich intensiv zusammen, aber ich würde sagen, dass wir auch gute Freunde geworden sind. Es ist schön, wenn man all die tollen Erlebnisse teilen kann. Es passt einfach zwischen uns – er hat einen gewaltigen Charakter“, schwärmt der Tiroler.
Scharnagl ist ein richtiger Naturbursche, liebt die Freiheit und verbringt seine Zeit gerne in den Bergen – am liebsten im Kaisergebirge in der Nähe von Kufstein. „Es ist es ist ein wunderschöner Platz dort oben – ich bin dort wirklich sehr gerne. Mein Onkel hat dort eine Bank gebaut – man sieht scheinbar bis Rosenheim. Ich glaub ihm das einfach mal. Dort hole ich mir sehr viel Kraft, denn ich spüre diese unglaublich tolle Atmosphäre“, erzählt der Para-Wintersportler, der sich selbst als sehr zielstrebig, ehrgeizig und einfühlsam beschreibt.
Doch mit der Ruhe ist es bald vorbei, in wenigen Tagen beginnt für den 32-Jährgen das Abenteuer Peking 2022: „Ich versuche, alles geschmeidig hinzubekommen. Die Platzierung ist nicht das Wichtigste. Natürlich trainiert man für den Erfolg und will eine Medaille holen, aber es gibt auch andere Parameter, die ebenso wertvoll sind. Momenten überwiegen einfach die Vorfreude und die Neugierde auf meine Premiere.“
Auch in Peking wird der Tiroler wieder fokussiert am Start stehen. Ein piepsendes Signal, und schon prescht er mit kräftigen Schüben und mit seinem Guide auf die Piste. Mit bis zu 100 Kilometern pro Stunde rast er die Strecke hinab. Ohne dass der Österreicher die Piste vollständig erkennen kann.